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Als Leiterin des Wiener Art Visuals & Poetry Film Festivals bin ich der Faszination des Poesiefilms erlegen, weil über die Sprache hinaus intermediale Bezugsfelder zur Bildenden Kunst und Musik entstehen. Mehrere Wahrnehmungsebenen gleichzeitig sind einerseits Faszination, andererseits Herausforderung. Ein gelungener Poetry Film schafft die Balance zwischen Text, Bild und Musik. In der Abstimmung ist das ein sehr feinfühliger Prozess. Gelingt diese Balance, erreichen die Filme über die Sprache eine zeitlose Dimension und lassen ihre Betrachter in dem Wunsch zurück, den Film nochmals zu sehen. Ein guter Poetry Film erschöpft sich nicht. Er kreiert einen Geheimniszustand und weist – wie die Poesie – darauf hin, dass sich die Wahrheit hinter den Dingen immer entzieht.

 

Die Perspektive der Filmkuratorin
Als Kuratorin suche ich die faszinierenden, perfekt produzierten Cinepoems, von denen ich annehme, dass sie auf den großen Kurzfilmfestivals bestehen. Es geht darum, den Poetry Film im Festivalbetrieb zu verankern. Ausnahmefilme werben für das Genre, das in der Filmszene immer noch eine große Außenseiterrolle einnimmt. Sieht man sich diese herausragenden Cinepoems genauer an, wird man meist feststellen, dass die visuelle Komponente dominiert und sich der Text meist unterordnet. Poetry Filme müssen sich gegen Kurzfilme behaupten, die mit professionellen Produktionsmitteln hergestellt wurden und oft sogar Förderungen im fünfstelligen Bereich erhalten. Die Produktionsstandards in technischer Hinsicht sind sehr hoch. Als Filmkuratorin versuche ich, das Image des Poetry Films durch eine besonders sorgfältige Auswahl  zu verbessern. Der Poetry Film wird in der Filmwelt belächelt, nicht zuletzt deshalb, weil sehr wenig Geld zu holen ist. Dem Image entgegenzuarbeiten mit professionell produzierten Poetry Filmen halte ich für sehr wichtig.

 

Die Perspektive der Filmemacherin
Als Filmemacherin versuche ich, Poetry Filme zu produzieren, die die Tür zu den großen Kurzfilmfestivals öffnen. Um dies zu gewährleisten, arbeite ich mit erfahrenen Filmemachern zusammen. Meine Poetry Filme entstehen am Schneidetisch. Perfekte Schnitttechnik ist gefragt, um die poetischen Freiräume durch die filmische Umsetzung nicht zu beschränken. Da ich als Filmkuratorin sehr viele Filme zu sehen bekomme, weiß ich um die wiederkehrenden Motive: Haut, Münder, Füße, Glassplitter, Filmen in Abbruchshäusern oder Gehen durch die Landschaft sind Topoi, die immer wiederkehren. Ich versuche, diese Topoi in der Bildsprache möglichst zu vermeiden. Wer sich auf sie stützt, sollte sich zumindest in der Umsetzung etwas Besonderes einfallen lassen. Weiters suche ich offene Texte und überlege ganz genau, wieviel der Text bereits vorwegnimmt. Eine komplexe Sprachstruktur fordert mehr Einfachheit in der Bildsprache und diese Reduktion wird in der Filmwelt nicht immer goutiert. Zumal die Ansicht vorherrscht, dass die Poesie allein in der Bildsprache zu liegen habe.

 

Die Perspektive der Dichterin

Die Dichterin hadert manchmal mit der Anforderung, dass sprachliche Komplexität und formale Perfektion im Sinne einer formalen Hermetik die filmische Umsetzung eines Textes sehr schwierig machen.

                       

  Nicht alle meine lyrischen Texte eignen sich für eine filmische Umsetzung. Die Bedeutung der Worte muss in Filmgeschwindigkeit erfassbar sein. Anders als im Buch gibt es im Film kein natürliches Innehalten. Gefragt sind einfache Sätze, die eine Bedeutung an der Oberfläche anbieten, oder Sprechtexte mit poetischem Einschlag. Gute Poetry Film-Texte sind in ihrer sprachlichen Komplexität im Vergleich zu einem Gedicht reduzierter und weniger verdichtet.
Je reduzierter umso besser, je einfacher der Text, umso mehr Freiraum entsteht für das Bild. Wortwiederholungen oder Nonsense-Texte sind Stilmittel, die ihre Eignung bewährt haben. Im Poetry Film ist die Alleinherrschaft des Bildes durch die Sprache aufgelöst.

 

In diesem Zusammenhang verweise ich noch auf die Haltung des syrischen Dichters Ghayath Almadhoun. Er fordert, dass die Poesie 50% eines Poetry Films ausmacht. Darüber hinaus ist Ghayath der Ansicht, dass die Filme von den Dichtern selbst kommen sollten und auch nicht perfekt produziert sein müssen.* Das Argument ist unter Autoren weit verbreitet, da sie sich gegen die verlangte Perfektion in der filmischen Umsetzung wehren. Ich selbst bin anderer Ansicht, weil mich Sprachfilme aller Kunstgattungen interessieren. Almadhouns Sichtweise hätte nicht zuletzt zur Folge, dass Poesiefilme hauptsächlich in der angestammten Nische, auf Literaturfestivals und Poetry Film-Festivals gezeigt werden. Die Produktionsbudgets liegen aber in den Filmabteilungen. Wenn der Poesiefilm erwachsen werden möchte, muss er förderwürdig werden.

Dennoch: Oft ist das Unperfekte, das mit Hand Gezeichnete viel poetischer als eine mit allen Mitteln der Kunst produzierte Computeranimation. Filmische Perfektion tötet oft die Poesie. Damit muss man spielen. Nicht zuletzt eröffnet historisches Filmmaterial mit all seinen Fehlern eine poetische Kraft, die wir in den superscharfen Bildern moderner HD-Kameras oft schmerzlich vermissen.


* Siehe das Interview mit Ghayath Almadhoun: »Watching Poetry Films: ›Arab Countries Were the Only Ones Not Taking Part‹« (2014).

 Erschienen im Magazin des  „Poetry Filmkanal“  Weimar von Guido Naschert am 12. Juli 2015. Zum Online-Magazin

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